Vor längerer Zeit wurden in den Supermärkten um mich herum die Regale umgebaut. Plötzlich waren da riesige Kühlschränke voller veganer und vegetarischer Produkte. Eines dieser Regale habe ich voller Begeisterung fotografiert, um dann mit Entsetzen festzustellen, wer da plötzlich so viele vegetarische Produkte im Angebot hatte. Das waren die riesigen Fleisch- und Geflügelhersteller. Ich habe schon öfter gehört, dass sei eine gute Sache. Es bedeute, die Veganer*innen und Vegetarier*innen hätten jetzt die Macht, den Markt zu verändern. Es bedeute, weniger Tierprudukte würden verkauft und Firmen würden sich ändern.
Aber das stimmt nicht. Ja, mehr vegane Produkte werden verkauft. Und weniger Milchprodukte konsumiert. (Weltweit steigt die Produktion von Milchprodukten.) Die Leute essen weniger Schweinefleisch, dafür aber mehr Geflügelfleisch, mehr Rindfleisch. (Übrigens sinkt in Deutschland zwar der Schweinefleischkonsum, die Fleischproduktion steigt aber. Das ist meiner Meinung nach kein Fortschritt. Außerdem bestehen viele der neuen Fleischersatzprodukte in den Supermärkten zu großen Teilen aus Ei. Und dass die Eiindustrie genauso grausam ist wie die Fleischindustrie hat zum Beispiel die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster wieder ins Gedächtnis gerufen.
Billiges Fleisch ist auch schlecht für Menschen
Ich bin in einer Gegend in Niedersachen aufgewachsen, wo viele dieser Firmen riesige Ställe und Schlachtereien betreiben. Viel wurde darüber nicht gesprochen, aber nach und nach bekam ich mit, was dort gemacht wurde und vor allem wie es gemacht wurde. Nicht nur Tiere wurden dort gequält, sondern auch Menschen ausgebeutet. Dieses Wissen war ein entscheidender Grund für mich, Vegetarierin zu werden. Und seitdem ist es ja nicht besser geworden, sondern noch viel schlimmer. Diesen Firmen gebe ich mein Geld nicht. (Hier gibt es eine nützliche Tabelle, in der man sich einen Überblick darüber verschaffen kann, welche Fleischalternativen von wem hergestellt werden.) Aber Veganer*innen sind auch gar nicht die Zielgruppe, sondern Flexitarier.
Es gibt aber ja auch noch Alternativen. Es gibt kleine Firmen, die das mit dem Fleischersatz, vegan und auf Nachhaltigkeit bedacht, schon sehr lange machen. Viele dieser Firmen findet man nur in Bioläden. Aber einige waren eine kurze Zeit lang auch in Supermärkten vertreten. Dann wurden sie wieder aus den Regalen genommen und durch die Produkte der Fleischindustrie ersetzt.
Ein Argument, dass ich oft höre, lautet: Diese großen Konzerne machen den Veganismus für eine breite Masse von Menschen zugänglich. Außerdem hat doch nicht jede*r die Möglichkeit, in den nächsten Bioladen zu rennen und sich da durch den nachhaltig produzierten Fleischersatz zu shoppen. Nicht jede*r hat die Zeit, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Und wenn es eben nur eine Sorte vegane Kekse im Supermarkt gibt, dann soll man diese eben kaufen. Besser als nix! Viele Menschen haben zudem nicht die Zeit, alle Mahlzeiten von Grund auf selber zu kochen. Da ist ein veganes Schnitzel doch eine super Sache. Und ja, alles gute und nachvollziehbare Gründe. Ich hab jetzt verstanden, dass die ganze Sache etwas komplizierter ist und nicht so schwarz und weiß, wie ich sie gerne hätte.
Veganismus ist nicht bequem
Meiner Meinung nach geht es beim Veganismus nicht um Bequemlichkeit. Jedenfalls nicht, wenn man es von einem ethischen Standpunkt aus betrachtet. Man möchte Dinge ändern, die einen aufregen oder die man als ungerecht empfindet. Das ist nicht bequem, weil man damit oft gegen einen Strom schwimmt. Weil man sich immer wieder mit seinen Entscheidungen auseinadersetzen muss. Sie werden ständig hinterfragt und kritisiert. Man muss sie begründen und sich erklären.
Wir sagen gerne, dass Veganismus ganz einfach ist. Zumindest ist das der Aufhänger eines jeden neuen Kochbuchs. Und da steht auch, man müsse nichts aufgeben. Das stimmt aber auch nicht. Man muss Sachen aufgeben, man entscheidet sich, bestimmte Sachen nicht zu machen oder zu konsumieren. Und immer wieder Entscheidungen treffen. Das fällt vielen Menschen sehr schwer und ich bin da keine Ausnahme. Manche leben aus Bequemlichkeit nicht vegan. Sie wollen diesen Schritt einfach nicht gehen, weil er zu viel Arbeit bedeutet. Kann ich verstehen, denn das kenne ich von mir selbst. Das ist normal.
Ich freue mich auch über neue vegane Produkte, die mir mein Leben leichter machen würden, die es wieder einfacher machen würden, in den Supermarkt zu gehen, die einfach Zeit sparen würden. Ich lande ständig in der Bequemlichkeitsfalle. Und manchmal kaufe ich dann die veganen Kekse, obwohl ich der Firma, die dahintersteht, eigentlich kein Geld geben will. Manchmal kaufe ich das Fertiggericht, weil ich mich freue, dass es da ist und dass ich einfach schnell was kochen kann. Manchmal ist eben keine Zeit da. Aber trotzdem sollte “alles wie gehabt nur in vegan” nicht unser Hauptargument sein. Denn so bringt vielleicht ein paar Leute dazu, sich vegan zu ernähren. Aber richtig zum Nachdenken gebracht hat man sie nicht.
Das ist gesagt und jetzt muss ich mal von meinem hohen Ross runter. Neulich habe ich auf Instagram ein Foto von einem neuen veganen Frischkäse auf Mandelbasis (Simply-V) gepostet. Den hatte ich aus einer Laune heraus in einem Onlinestore gekauft. Ich hatte die Firma vorher nicht recherchiert. Ich hab meine hohen Ansprüche einfach mal vergessen. War schließlich vegan. Danach habe ich recherchiert. Der Käse wird auf einer Homepage angepriesen, die sehr nett gemacht ist. An keiner Stelle gibt es dort allerdings einen Hinweis darauf, das die Firma E.V.A eine Tochter von Hochland ist. Hochland wiederum bezeichnet sich als einen der größten Käsehersteller in Europa. Im Internet findet man den Zusammenhang zwischen Hochland und E.V.A natürlich sehr schnell. Auf Instagram habe ich daraufhin geschrieben, dass ich diese Firma wegen ihrer Verbindungen zu Hochland nicht unterstützen würde. Ich gebe zu, dass ich hauptsächlich sauer auf mich selber war. Ich hätte ja vorher gucken können, wäre nur eine Sache von Minuten gewesen. Ich hatte die üblichen Argumente parat: von einer Milchfirma, und noch dazu einer so großen, kauf ich nix.
Ein paar Minuten später stand ich dann vor unserem Kühlschrank, eine Packung Sojajoghurt in der Hand. Ich mache wirklich viel selbst, aber Sojajoghurt und Sojamilch eben nicht. Und diese beiden Lebensmittel benutze ich wirklich oft, vor allem zum Backen. Außerdem sind angereicherte Sojaprodukte für meine Tochter und mich eine gute Kalziumquelle. Vor einer Weile habe ich mich noch darüber gewundert, warum sich (in den USA) alle so über das neue vegane Eis von Ben and Jerry’s freuen. Ich habe gesagt, ich würde nicht verstehen, warum solche Firmen, die ihre Milchproduktsparte durch den Verkauf von veganem Eis sicher nicht zurückfahren werden, so dafür gelobt würden, plötzlich auch ein paar vegane Eissorten im Angebot zu haben. Daran denke ich jetzt mit meinem Joghurt in der Hand. Der, wenn man es genau nimmt, von einer Firma hergestellt wird, die auch Milchprodukte macht.
Bei Sojajoghurt hat man genau zwei Möglichkeiten. Entweder man kauft den von Alpro/Provamel oder den von Sojade. So ist es zumindest hier. Beide Marken gehören Milchproduktfirmen. Alpro/Provamel gehört zu Danone, einem riesigen Milchkonzern. Sojade gehört zu Triballat Noyal, einer französischen Firma, die Ziegenkäse und andere Milchprodukte herstellt.
Ich kann mich dunkel daran erinnern, als Alpro/Provamel noch zu WhiteWave Foods (damals Foods) gehörte. Dean Foods ist eine große Molkereigruppe, die Alpro/Provamel gekauft hatte. Viele Veganer_innen waren darüber richtig sauer, immer wieder wurde behauptet, Alpro- un Provamelprodukte seien deshalb nicht vegan. Damals hab ich mich kurz gewundert und den Sojajoghurt weiter gekauft. Ich wollte ihn nicht aufgeben und wollte eigentlich auch nicht weiter darüber nachdenken. Ich dachte, klar, die gehören jetzt zu einem Molkereikonzern. Aber die Produkte sind doch immer noch vegan.
Heue merke ich, wie widersprüchlich all meine Argumente sind. Ich will auch nicht ohne bestimmte Produkte leben. Es ist einfach zu sagen, ich konsumiere keine Tierprodukte. Aber dann wirds auch schon schwierig. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen dem Sojajoghurt, den ich kaufe und dem Frischkäse, den ich nicht kaufe. Ich weiß ja, dass es beim Veganismus nicht um Perfektion geht, aber trotzdem muss man sich ja fragen, ob man weitere Grenzen zieht und wenn ja, welche.
Auch wenn man sich entscheidet keine Tierprodukte zu essen, die Sache bleibt kompliziert. Ich merke immer wieder, wie sich meine eigene Geschichte wiederholt. Ich bin Vegetarierin geworden, weil ich Tiere essen für falsch hielt und mich nicht mehr schlecht fühlen wollte. Ich bin Veganerin geworden, weil ich nun auch den Konsum aller anderen Tierprodukte für falsch hiel (und halte) und mich nicht mehr schlecht fühlen wollte. Und jetzt was? Man muss damit leben, sich immer mal schlecht zu fühlen. Das normal, wenn man versucht, sich Gedanken zu machen. Man sollte allerdings nicht daraus schließen, das deswegen ja sowieso alles egal ist und man es auch gleich sein lassen kann.
Mir ist klar, dass ich mit einer “ja-nein”-, “schwarz-weiß”-Einstellung nicht sehr weit komme. Aber ich will auch nicht jedes neue vegane Produkt bejubeln, nur weil es vegan ist. Ich denke auch weiterhin, dass es wichtig ist, Entscheidungen zu treffen, und zu gucken, wo auch die veganen Produkte, die man so zu sich nimmt herkommen. Und ja, mir ist klar, dass ich mir in einer sehr überlegenen Position befinde. Ich weiß auch, dass hier ziemlich viele Widersprüche zu lesen sind. In dem Moment, wo mein Joghurt auf dem Spiel steht, bin ich der Meinung, dass das mit dem Boykott bestimmter Produkte vielleicht doch nicht so eine gute Idee ist. Aber dieser Text zeigt auch, dass es eben nicht so einfach ist. Vielleicht muss man einfach damit aufhören, alles richtig machen zu wollen. Das klappt nicht. Man sollte nur nicht aufhören, es zu versuchen. Man sollte sich trotzdem immer wieder mit dem, was man konsumiert, auseinandersetzen, egal zu welcher Entscheidung man am Ende kommt.